Die Software GlucoTab der decide Clinical Software GmbH unterstützt die Arbeitsabläufe des Blutzuckermanagements von Diabetespatienten im Krankenhaus und schlägt Ärzten und Pflege die jeweilige Insulindosis vor. Als Produkt ist GlucoTab weltweit einzigartig und hat das Potential, längere Krankenhausaufenthalte und Komplikationsrisiken von Krankenhauspatienten mit Diabetes zu verringern. GlucoTab nimmt damit aktiv Einfluss auf die Therapie und geht über die traditionelle Rolle von Krankenhaus IT – nämlich die der Dokumentation – hinaus und trägt zur aktiven Steigerung der Behandlungsqualität und zur Kostensenkung bei. Bei der letztjährigen Ausgabe unseres S&B Awards hat das Team von GlucoTab die Top 10 erreicht. Wir haben die beiden Gründer Andreas Krug und Peter Beck zum Interview gebeten:
RSF: Inwiefern hat sich euer Unternehmen seit dem letzten S&B Award weiterentwickelt?
Andreas Krug: Unsere Finanzierung ist nun sichergestellt. Unser Seed-Financing Antrag bei der AWS wurde bewilligt. Zudem wurden uns im Zuge der EU Instruments für Klein- und Mittelbetriebe im Rahmen des Horizon 2020 Programms €50.000,- an Fördermitteln in Phase I zugesprochen. Damit bestreiten wir nun die Vorbereitung eines Phase II Antrags.
Peter Beck: Diese Förderschiene in Horizon 2020 ist sehr kompetitiv. Wir haben uns bei der Antragstellung durch eine Beraterfirma unterstützen lassen und wurden auf Anhieb positiv bewertet. Das stimmt uns sehr positiv für die Phase II, in der eine substanzielle Förderung beantragt werden kann. Was die Produktentwicklung betrifft, die momentan noch durch Fördermittel aus der FFG unterstützt wird, haben wir gerade die Version 4.0 unserer Software fertiggestellt. Der Funktionsumfang wurde erweitert, es ist uns jetzt beispielsweise möglich, die gesamte Dokumentation von Typ 2 Diabetes im Krankenhaus, die meist noch auf Papier gemacht wird, mit GlucoTab abzudecken. Das heißt man kann die gesamte Behandlung wie bei einer Fieberkurve digital erfassen. So wird die Therapieunterstützung durch unser System noch umfangreicher.
RSF: Aktuell wird euer System außerhalb der Med Uni Graz soll GlucoTab bereits in einem weiteren Krankenhaus eingesetzt werden. Wie läuft die erste Testphase bis jetzt ab?
Andreas Krug: Wir planen unser Pilotprojekt im Landeskrankenhaus Hartberg bis Ende Jänner vollständig umzusetzen. Dort wird man dann bereits nach kurzer Zeit wichtige Erkenntnisse zur Marktreife unseres Produkts ziehen können. Wenn dort alles nach Plan verläuft können wir mit dem regulären Vertrieb unseres Produkts beginnen.
Peter Beck: Das Landeskrankenhaus Hartberg ist ein Teil der KAGes (Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft, Anm.), die für uns von Beginn an ein wichtiger Partner war. Teil des Pilotprojektes ist eine strukturierte Evaluierung, bei der die gesammelten Daten in einem vorher-nachher-Vergleich analysiert und auch Interviews mit den handelnden Personen geführt werden.
RSF: Wie war bisher die Resonanz von Seiten der Ärzte und des Pflegepersonals zu eurem Produkt?
Andreas Krug: Aus der Pflege haben wir durch die Bank sehr positives Feedback erhalten. Dort stehen die Leute teilweise unter sehr hoher Belastung, weshalb sie natürlich froh über jede technische Unterstützung sind, die Ihnen die Arbeit erleichtert. Unter den Ärzten gibt es großteils auch viel Zustimmung für GlucoTab. Besonders positiv ist das Feedback, je weniger spezialisiert der jeweilige Arzt oder die Ärztin für die Diabetologie ist. Diabetes ist ja meistens nicht der Grund, weshalb jemand im Krankenhaus behandelt wird, sondern eine zu behandelnde Nebendiagnose. Ein Chirurg ist dann beispielsweise sehr froh darüber, wenn er in diesem Bereich durch unsere Software unterstützt wird.
RSF: Wie sieht das ganze vom ethischen Gesichtspunkt aus? Haben die Menschen Skepsis davor, dass sie quasi von einem Computer behandelt werden?
Andreas Krug: Dieses Problem sehen wir bei uns nicht wirklich. GlucoTab bietet eine Entscheidungsunterstützung, die man annehmen kann aber nicht muss. Die Unterstützung läuft konstant im Hintergrund und erhöht die Sicherheit. Die endgültige Entscheidung und somit auch die Verantwortung liegen jedoch immer noch beim Arzt oder dem Pflegepersonal. Das ist meiner Meinung nach auch unabdingbar, weil der Behandlungserfolg immer noch von den Menschen abhängt. Vielmehr sollen sie Druck von den handelnden Personen nehmen. Salopp formuliert Werte zusammensuchen und Berechnungen durchführen kann der Computer einfach besser, Menschen müssen sich extrem konzentrieren und Fehler sind trotzdem häufig. Das Ergebnis interpretieren und im Kontext für den Patienten insgesamt beurteilen kann nur der Mensch, der dafür auch verantwortlich ist.
Peter Beck: Wir waren kürzlich als Aussteller auf dem Kongress der Österreichischen Diabetesgesellschaft. Dort kamen Ärzte und Pflegepersonen aktiv zu uns an den Stand, weil sie wissen, dass es bei der Diabetesbehandlung im Krankenhaus großes Verbesserungspotenzial gibt. Einzelne Ärzte haben den Aspekt einer etwaigen Bevormundung durch GlucoTab angesprochen. Als wir ihnen das Konzept unserer Entscheidungsunterstützung jedoch erklärt haben und auch gezeigt haben, wo man selbst eingreifen kann, war das kein Thema mehr.
RSF: Das heißt euer Produkt kann man nicht mit beispielweise einem selbstfahrenden Auto vergleichen?
Peter Beck: Beim selbstfahrenden Auto befindet man sich gerade am Übergang vom Assistenzsystem zum voll autonomen Fahren. GlucoTab ist als Assistenzsystem konzipiert, der Anwender kann und muss sogar eingreifen.
Bezogen auf maschinelles Lernen verfolgen wir nicht den Ansatz, dass durch einen selbstlernenden Algorithmus sich das Verhalten des Systems im Laufe der Zeit selbst ändert. Das wäre von der Verantwortung her in einem Medizinprodukt kaum möglich. Wenn wir die Software weiterentwickeln, passiert das bei uns durch Analysen am Schreibtisch und nicht von selbst. Nur so können wir garantieren, dass das Gesamtergebnis unseres Produkts in sich konsistent ist.
RSF: Ein so komplexes Produkt wie eures bedarf bestimmt vieler verschiedener Fachkenntnisse. Wer gehört aktuell zum „Team GlucoTab“?
Andreas Krug: Bis jetzt besteht unsere Firma nur aus uns beiden. Wir sind ein Spin-Off der Joanneum Research (JR) und der Medizinischen Universität Graz (MUG), und zwei Entwickler von JR werden Anfang 2017 von unserem Unternehmen übernommen werden. Die bisherige Entwicklung erfolgte im Rahmen von gemeinsamen Forschungsprojekten von JR und MUG. Die klinischen Studien wurden im Universitätsklinikum durchgeführt, das Datenmanagement und die Statistik erfolgten bei JR. Wissenschaftliche Kooperationen werden für die Weiterentwicklung von GlucoTab weiterhin notwendig sein.
Eine Hauptherausforderung in der Firma wird sicher, ab wann sich eigene Bereiche wie der Vertrieb selbst tragen. Nach unserem Pilotprojekt rechnen wir mit einem Verkaufsanstieg. Da wir uns im Hochpreissegment befinden, benötigen wir qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter. Hier ist es schwierig die optimale Balance zu finden.
Peter Beck: Die Entwickler, die jetzt zu uns wechseln arbeiten schon lange im Projekt uns sind technisch und inhaltlich gut eingearbeitet und ausgebildet. Das Kernteam wird sich sicherlich weiterhin auf die Produktentwicklung und Verbesserung konzentrieren. In Zukunft benötigen wir daher zusätzliches Personal zur Integration unseres Systems bei unseren Kunden, den Krankenhäusern. Wir planen, diese Aufgabe vor allem im Ausland an Partner auszulagern, die den jeweiligen Markt kennen und besonders auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen können.
RSF: Wie wird GlucoTab in einem Krankenhaus implementiert?
Andreas Krug: Zu Beginn steht immer eine Analyse, wie weit die Prozesse im jeweiligen Krankenhaus bereits digitalisiert sind. In Abhängigkeit davon integrieren wir unser Produkt. Bei niedrigem Digitalisierungsgrad ist die Implementierung relativ simpel. Je höher die Krankenhäuser digitalisiert sind, desto aufwändiger ist es die Schnittstellen zwischen dem vorhandenen System und unserem Produkt optimal auf einander abzustimmen. Österreichische Krankenhäuser sind diesbezüglich sehr fortschrittlich. Die KAGes ist meiner Ansicht nach ein europäisches „Lighthouse“, was die Digitalisierung der Prozesse angeht. Einzig die nordischen und Benelux Länder sehe ich im internationalen Vergleich noch leicht vor Österreich.
Peter Beck: National wie international gibt es große Nachfrage nach funktionierender Unterstützungen des Blutzuckermanagements. In Amerika ist das Problembewusstsein beispielsweise aufgrund der bestehenden klinischen Leitlinien bereits sehr groß, und auch in England wird auf die Qualität in diesem Bereich bereits großer Wert gelegt. In diesen beiden Ländern wären die Voraussetzungen für GlucoTab daher gut, und sie sind auch groß genug, um mit einem einheitlichen System eine große Anzahl an Kunden zu bedienen. In Österreich gibt es derzeit keine eigene Leitlinie für die Diabetesbehandlung im Krankenhaus. Dementsprechend uneinheitlich ist das Vorgehen. Genau da setzten wir mit der GlucoTab Unterstützung an.
RSF: Wie habt ihr in der bisherigen Entwicklung eures Spin-Offs die Unterstützung von öffentlicher Seite wahrgenommen?
Peter Beck: Wir waren insofern in einer besonderen Situation, als wir kein klassisches Startup sind, das bei null beginnt. Zum Zeitpunkt der Gründung gab es bereits ein fast fertiges Produkt, in dem 6 Jahre Entwicklungsarbeit steckten. Aus diesem Grund waren wir in den meisten Stadien der Gründung eher schon weiter als die Unterstützungen, die uns angeboten wurden. Die Forschungseinrichtungen Medizinische Universität Graz und Joanneum Research waren das richtige Umfeld für die Grundlagenarbeit, Studien und Entwicklung bis zum Prototyp, und die Ausgründung erfolgte zur richtigen Zeit. Ein klassisches Startup hätte GlucoTab wohl gar nicht entwickeln können, da die klinischen Studien in dem Umfang, wie wir sie durchführen mussten, nur schwer mit Venture Capital finanzierbar wären.
Andreas Krug: Die handelnden Personen in unserer Entwicklung waren alle stark an einer Spin-Off-Gründung interessiert. Das Team wurde sehr komplementär aufgebaut, ich selbst komme ja auch nicht aus der Forschung sondern ursprünglich aus der Privatwirtschaft. Das Unternehmen wäre rein nach den Leistungsziffern der Forschungseinrichtungen nicht gegründet worden, denn ein Spin-Off ist an sich ein schlechtes Geschäft. Sie verlieren dabei hochqualifizierte Mitarbeiter und riskieren ihre Investitionen, sowie öffentliche Fördermittel. Geht das ganze schief, stehen sie in der Pflicht, sich gegenüber ihren Kontrollorganen zu rechtfertigen. Zumeist verlangen sie im Gegenzug enorme Lizenzgebühren, die ein junges Unternehmen häufig so stark belasten, dass es im freien Markt nie konkurrenzfähig sein kann. Eine echte kommerzielle Verwertung ist aber innerhalb von Forschungseinrichtungen ebenfalls nur schwer möglich.
Wir beide sind der Meinung, dass die Leistung einer Forschungseinrichtung, Spin-Offs in den Markt zu entlassen, in Österreich nicht ausreichend honoriert wird. Es sollte vielmehr ein Ziel sein jährlich ein oder mehrere Unternehmen zur Gründung zu verhelfen. Der Return on Investment sollte dabei nicht nur durch Lizenzen, sondern mittelbar durch die Wirtschaftsleistung und die ausgezahlten Gehälter entstehen und die Forschungseinrichtungen sollten auf der anderen Seite basierend auf ihren Gründungen zusätzliche Fördergelder erhalten, die sie wiederum in neue Forschungen stecken können. Langfristig gesehen muss der Wissenstransfer für beide Seiten wirtschaftlich Sinn machen. Wir verfügen in Österreich über ausgezeichnete Forschungsförderung und Finanzierung im Hochtechnologiebereich, doch dazwischen liegt ein struktureller Spalt der viele großartige Projekte an der Umsetzung hindert. Wenn in unserem Fall nicht so viele Leute in der Meduni Graz und der Joanneum Research über ihren Schatten gesprungen wären, hätte die Idee vielleicht noch den einen oder anderen Preis gewonnen und wäre dann in irgendeiner Schublade verschwunden.